Franz besten Jahre waren vorbei. Wie auch die besten Jahre für den Namen Franz vorbei waren. Auch die glorreiche Ära der Wiener Kaffeehauskultur war mit ihren Stammgästen vergammelt. Überhaupt zeigten die Zeiger gegen Ende, so ehrlich muss man sein. Von global wollen wir jetzt mal gar nicht sprechen. Nein, ich beziehe mich hier ausschließlich auf Franz Sauerwein. Bei seinem Kadaver gab es nicht mehr viel zu sanieren. Er hatte gerade drei Wochen Kuraufenthalt hinter sich, aber das war so erfolgreich wie Österreich in Kriegen. Schlesien konnte man vergessen. Über Königgrätz wurde nicht mal mehr geflüstert und der Balkan … ach – der Balkan. Es sah zusammengefasst nicht gut aus um Franz Gesundheit.
So saß er da. Vor sich einen Tee, weil Kaffee verboten. In einem Kaffeehaus ohne Qualm: Rauchverbot. Fürs gratis W-Lan hatte er keinen Apparat und die Zeitung war nicht gut fürs Herz. Er schmiegte sich an die gepolsterte Sitzbank und wollte ihren Geschichten lauschen. Von Literaten und Philosophen, von jungen Liebenden, Pläne schmiedenden Studenten, Bergen an Torten und alten Lebenskünstlern, die einst jeden Tag hier ihr Achterl tranken. Wo waren sie geblieben? Franz hatte noch Durst nach Leben, doch sein Körper zwang ihn den aufzugeben. Kein Tropfen Genuss mehr für den hier! Hedonismus bleib auf deinem Kreuze! Franz liebkoste mit seinem Gesicht das Möbelstück. Die rote Liebende empfing ihn mit ihrer Geschmeidigkeit. Das Aroma alter Genüsse schwebte in seine Nase. Alkohol. Koffein. Zucker. Tabak. Eine olfaktorische Gourmetparade umschlang und führte Franz auf eine Zeitreise. Er schloss die Augen und ließ sich verführen – tiefer – tiefer. Lüstern leckte Franz Sauerwein die alten Zeiten vom Polster. Jugend. Hoffnung. Küsse. Pläne. Runde Formen. Hauch. Wärme. Erinnerungen …
Da riss Franz ein Brüllen aus seiner Olfakto-morgana. Auf der Nachbarsbank saßen drei Jugendliche und filmten ihn mit ihren Telefonen, während sie sich das Lachen nicht mehr verkneifen konnten. Franz kramte seine letzten Münzen hervor und knallte sie auf den Tisch. Dann setzte er sich auf, ging einen Schritt auf die Sitznische der Jugendlichen zu, die noch immer ihre Kameras auf ihn hielten, und sagte: „Es wird alles gut. Alles kommt, wie es soll. Am Ende macht alles einen Sinn. Die Zukunft ist voller Wunder.“ Mit diesen Worten ging Franz Sauerwein und wurde in diesem Grätzl nicht mehr gesehen.